Die documenta findet in diesem Jahr doppelt statt. Erstmals auf zwei Standorte erweitert, ist die documenta 14 aktuell in Athen und Kassel parallel zu sehen.
Standort
Die documenta, die seit 1955 in Kassel stattfindet, auf einen weiteren Standort zu verlegen, war die erste unkonventionelle Entscheidung, die der Kurator Adam Szymczyk bekannt gab. Das war 2014, als die deutsch-griechischen Beziehungen stark von der Finanzkrise belastet waren. Die documenta ist seit Beginn an ein politisches Spektakel von internationaler Relevanz. Das gilt auch für die documenta 14. Athen polarisiert nicht nur als Standort.
documenta 14 booklet
Von den rund 40 Schauplätzen, stechen vier große Ausstellungsorte heraus: EMST- National Museum of Contemporary Art, Athens Conservatoire, Athens School of Fine Arts und das Benaki Museum. Neben diesen vier klassisch inszenierten Ausstellungsorten, lässt einen das documenta Programm Athen abseits des touristischen Zentrums erkunden. Viele Arbeiten sind partizipative Performances, die auf Plätzen und an kleineren Ausstellungsorten stattfinden.
Laut Adam Szymczyk und seinem Team sollen die Besucher nicht nach einem roten Faden suchen. Es lassen sich jedoch einige thematische Schwerpunkte ausmachen.
Nevin Aladağs Music Room (2017)
Ein übergeordnetes Thema ist die Musik. Nevin Aladağ zeigt im Athens Conservatoire die Arbeit Music Room, für die sie Möbelstücke von Athener Flohmärkten in verschiedene Musik Instrumente verwandelte, die täglich im Rahmen einer Performance gespielt werden.
Daniel Knorr Materialization (2017)
Lässt man den Blick von Nevin Aladağs Objekten hinaus auf den lichtdurchfluteten Innenhof schweifen, sieht man einen hohen Berg aus Abfall, den der Künstler Daniel Knorr auf den Straßen Athens zusammensammelte. Die Arbeit Materialization scheint wie eine Collage verschiedener Erinnerungen, die aus dem privaten Alltag Athens erzählen.
Bonita Ely PlastikusProgressu: Momento Mori (2017)
Auch Bonita Ely setzt sich in Plastikus Progessus: Memento Mori (2017), die in der Athens School of Fine Arts gezeigt wird, mit den Folgen der Konsumgesellschaft auseinander. Die selbsternannte Umweltfeministin sammelt Informationen bezüglich der Verschmutzung von Flüssen durch Plastikabfall in Athen, Kassel und ihrer Heimatstadt Sydney. Im Zentrum der Arbeit stehen fiktive Tier-Elektrogerät-Mutationen, die an die Entdeckung der plastikfressender Organismen anlehnt ist. Die Wände sind bedeckt mit einer Vielzahl von Fotografien, die während der Recherche entstanden. Auf einem interaktiven Bildschirm lässt sich die Projekt-Website www.plastikus.online eingesehen, wo detaillierte Forschungsergebnisse präsentiert werden.
Emeka Ogboh The Way Earthly things are going (2017)
Die Kritik am Konsumismus steht in einer Reihe kapitalismuskritischer Arbeiten. Nachhaltig beeindruckend ist die Installation The Way Earthlythingsaregoing (2017) von Emeka Ogboh im kahlen Amphitheater des ehemaligen Athens Conservatoire. Der kühle Saal ist in schummriges Licht getaucht. Im Zentrum, wo sonst Musiker, Schauspieler oder Sprecher stehen, ist eine durchlaufende Leuchtschrift angebracht, die live den Index internationaler Börsen überträgt. Komplettiert wird die Installation durch den mehrstimmigen Gesang des traditionellen griechischen Lieds Αλησμονώ και χαίρομαι (When I forget, I’mglad), der sich von den Lautsprechern in der Mitte durch den Raum ausbreitet.
Susan Hiller The last silent movie (2007-2008)
Susan Hiller gibt in The Last Silent Movie (2007-2008) den vom Vergessen bedrohten Sprachen eine Stimme. Der dunkle Raum ist erfüllt von unbekannten Sprachen, die akut vom Aussterben bedroht sind. Manche Sprachen erinnern vom Rhythmus an Bekanntes, eine andere besteht lediglich aus Pfiffen. Durch das Publikum geht ein kurzes Lachen, was die angespannte Stimmung kurz aufbricht. In der Mitte steht eine Leinwand, die von beiden Seiten bespielt wird. Auf der linken Seite reichen die Kinosessel nicht, die Menschen sitzen auf dem Boden und stehen entlang der Wände. Auf der rechten Seite sitzt ein einzelner Besucher. Auf der linken Seite der Leinwand werden die Untertitel des Gesprochenen auf Deutsch angezeigt, auf der rechten Seite auf Griechisch.
Athens School of Fine Arts
Wenn es einen roten Faden gibt, so ist es eine Disbalance, die sich durch die documenta 14 in Athen zieht.
Die Hauptausstellungsorte wirken wie lebensferne Kapseln im belebten Athen. Das Gesicht der Stadt ist von Zerfall gezeichnet, den die einen romantisieren und die anderen auf fehlende Mittel zur Sanierung zurückführen mögen. Am deutlichsten lässt sich der Kontrast zwischen Athen und der documenta 14 am Standort der Athens School of Fine Arts erkennen. Die ASFA liegt abseits des Trubels und den Fußweg von der Metro Station durch ein menschenleeres Gewerbe- und Industriegebiet möchte man nicht im Dunkeln gehen, wie auch die documenta-Mitarbeiterinnen dringlich bestätigen. Der markante Säulenbau erscheint hingegen wie das Licht am Ende des Tunnels. Doch das Erkennungszeichen, die große schwarze 14 auf weißen Flaggen, ist nicht zu sehen. Sie sind verdeckt von einem riesigen Banner mit griechischer Schrift- offensichtlich ein studentischer Protest. Endlich!
Auch hier, in Mitten des kreativ-anarchistischen Charmes der Kunsthochschule, lässt sich die documenta 14 mit ihrem klimatisierten White-Cube und Cooperate-Design wie ein Eindringling nieder.
Merchandise der documenta 14 im Shop des Benaki Museum
Es bleibt ein elitäres, deutsches Kunstevent. Auch wenn das Programm ausdrücklich versucht, über die ewige Kritik des Eurozentrismus hinauszukommen, so verdeutlicht die documenta 14 in Athen vielmehr, wie nah das globale Machtgefälle beginnt. Der Titel „Von Athen lernen“ scheint in der Ausführung absurd.
Trotz aller Kritik, ist die documenta 14 in Athen eine bereichernde Erfahrung. Sowohl Athen lässt sich durch die Erschließung der Ausstellungsorte neu entdecken und gleichzeitig liefern die Künstler der documenta14 anregende Perspektiven auf politische und gesellschaftliche Themen unserer Gegenwart und Zukunft.
Autorin: Isabelle Demin